Weshalb „Spitzenreiter“ eine zweifelhafte Auszeichnung sein kann

Eigentlich müsste die Autoindustrie demnächst eine große Sause veranstalten. Schließlich kann es sich nur noch um wenige Tage handeln, bis endlich 50 Millionen PKW in Deutschland zugelassen sein werden. Denn die 661 Fahrzeuge, die laut Kraftfahrt-Bundesamt dazu noch fehlen, dürften angesichts Deutschlands Liebe zum Auto kein Problem sein.

Auch unser Landkreis Lindau ist Teil dieses Wachstums und hat mit weiteren 396  Zulassungen dafür gesorgt, dass er bald auf die „Schnapszahl“ 55.555 Gesamtbestand anstoßen kann. Noch sind es halt „nur“ 652 PKW, die sich rein statistisch je 1.000 unserer Kreisbewohner teilen – inclusive natürlich der ungefähr 170 Babys, Kinder und Jugendlichen, die aus Altersgründen noch nicht im Besitz eines Führerscheins sein können. 

Auf dieser Tabelle – wieviele PKW kommen auf 1000 Einwohner? – sind 399 deutsche Städte und Landkreise aufgeführt. Am bedenklichsten – wenig überraschend – sieht es da in Wolfsburg aus, wo offenbar nur noch sieben Einwohner von tausend kein Auto ihr eigen nennen. Und weil auch hier die unter 18jährigen mit eingerechnet sind, dürfte es dort – rein statistisch gesehen – eigentlich niemanden mehr geben, der den Begriff „Volkswagen“ nicht gleichzeitg auch als Aufforderung zum Kauf eines solchen Fahrzeugs auslegen möchte –   schließlich ist man ja als Wolfsburger ein wichtiges Mitglied dieses Volkes. 

Ganz anders in Berlin: Hier beträgt der Pro-Kopf-PKW-Bestand lediglich 326! Die Berliner haben offenbar gelernt, wie man das bestehende Fahrradnetz und den ÖPNV nutzt, um zumindest innerhalb der Stadt gut von A nach B zu kommen. 

Freilich: Wenn in einem Artikel der Schwäbischen Zeitung in diesem Vergleich ausgerechnet Wolfsburg als „Spitzenreiter“ und dem offenbar recht umweltfreundliche Berlin die Bezeichnung „Schlusslicht“ zugeordnet wird, so schimmert da doch eine altbekannte Denkweise in Sachen Auto durch, wo die Begriffe „positiv“ und „negativ“ noch anders herum definiert wurden.

Zur Ehrenrettung Wolfsburgs sei allerdings angemerkt: Bei der Zulassungsquote von reinen Elektroautos im Vergleich zu Verbrennern liegt Wolfsburg – hier also tatsächlich als „Spitzenreiter“ aller Neuzulassungen – mit 9,1 Prozent auf Platz 1. Darauf allerdings, dass dort und  im gesamten Bundesgebiet trotzdem immer noch 97 Prozent aller PKW mit Verbrennern unterwegs sind, hat dies nach wie vor kaum einen Einfluss – siehe unser Beitragsbild. 

Bleibt also abzuwarten, ob dem neuen Verkehrsminister Patrick Schnieder im Gegensatz zu seinen Vorgängern klar ist, dass es ein Klimaziel für 2045 gibt, der Verkehr dabei eine wichtige Rolle spielt und die Autoindustrie keine „Heilige Kuh“ ist.

Bild: Uta Weik

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